3D-Druck

Eine E-Gitarre: Von der Konstruktion mit SOLIDWORKS bis hin zur Fertigung mit dem HP-3D-Druck

Mit dem Solidpro-Lösungsportfolio von der Idee zum fertigen Instrument.


Erleben Sie, wie mit einem Teil des Solidpro-Lösungsportfolios aus einer Idee ein fertiges Instrument wird, und begleiten Sie unsere Kollegen bei der Entstehung einer 3D-gedruckten E-Gitarre, die es so noch nicht gegeben hat! Stellen Sie Ihre Sitze in eine aufrechte Position, wir starten.

1. Die Idee

Es heißt, jede Idee beginnt mit einem leeren Blatt Papier. Aber in diesem Fall fing das Projekt „E-Gitarre aus dem 3D-Druck“ mit einer Person und Social Media an. Unser
Mitarbeiter und SOLIDWORKS-Profi Sebastian Steeb (Application Engineer Software Training) war eines schönen Abends unterwegs in den sozialen Medien – für viele von uns eine tägliche (Abend-)Routine. Dort entdeckte er das Bild einer Blockflöte, welche komplett in einem 3D-Drucker gefertigt worden war. Die positiven Reaktionen auf der Social-Media-Plattform waren enorm und da keimte in ihm die Frage auf, ob es nicht auch möglich wäre, eine 3D-gedruckte Gitarre zu fertigen.

Sie fragen sich, warum eine E-Gitarre und kein anderes Instrument? Na ja, wer Sebastian kennt, weiß, dass eine seiner Leidenschaften das Spielen eben dieses Musikinstruments
ist. Wieso sollte man also ein anderes Instrument fertigen, mit dem man dann nicht umzugehen weiß?

Am selben Abend folgte gleich die erste Bestandsaufnahme, um zu prüfen, ob bereits Gitarren existieren, die mit der modernen Fertigungstechnologie hergestellt worden
waren und wenn ja, auf welche Art und Weise. Nachdem Sebastian die wohl bekannteste Internet-Suchmaschine um Rat gefragt hatte, kam er schnell zu einem Ergebnis: Ja, es gibt bereits 3D-gedruckte Gitarren.

Aber der Korpus bei diesen Exemplaren bestand immer aus mehreren Einzelteilen, die später zusammengefügt, also geklebt oder gesteckt wurden. Die Frage war nun: Geht das nicht auch in einem Druck und wird das Endergebnis bespielbar sein?

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2. Der Realitätscheck

Die Idee war geboren, aber war diese auch umsetzbar? Um das zu eruieren, sprach Sebastian am nächsten Tag mit unseren technischen 3D-Druck-Experten. Im Team unterzogen sie die Idee einem Machbarkeitscheck mit positiver Bilanz: Der Korpus würde zwar etwas kleiner ausfallen als der von bekannten E-Gitarren, aber ansonsten konnten
keine Abweichungen oder Konflikte festgestellt werden.

Bei der Fertigung entschied sich die Projektgruppe für die “HP Jet Fusion 5200“-3D-Drucker. Dies hatte zwei Gründe: Erstens war die Maschine vor Ort verfügbar und
zweitens hatte sie das größtmögliche Bauraumvolumen mit 380 x 284 x 380 Millimetern. Zusätzlicher Pluspunkt des pulverbettbasierten 3D-Druckverfahrens: Es werden keine Stützstrukturen benötigt, wodurch man in der Konstruktion sehr viele Freiheiten, wie zum Beispiel das Setzen innenliegender Strukturen hat.

Beim Material entschied man sich für das HP 3D High Reusability PA 12, welches perfekt für robuste, kostengünstige und hochwertige Teile geeignet ist.

3. Der Prototyp

Mit diesen Informationen nahmen die Geschehnisse ihren Lauf. Sebastian begann mit der Konstruktion in der 3DCAD-Software SOLIDWORKS. Dabei orientierte er sich an der Grundform einer Telecaster-E-Gitarre. Der Rest entsprang seiner eigenen Kreativität und seinem Expertenwissen sowohl als Konstrukteur als auch als Gitarrenspieler. Wichtig bei der 3D-Modellierung war für ihn, dass die Kabelkanäle innen im Korpus liegen, sodass die Verkabelung beim fertigen Instrument nicht zu sehen ist. Wertvolle SOLIDWORKS-Features, die ihm bei dem gesamten Konstruktionsprozess unterstützt, waren dabei unter anderem

  • Musterungen,
  • schnelle Geometriemuster,
  • Austragungen entlang einer Bahn,
  • Rendering mit Photoview360,
  • direkt editierbare Bemaßungen,
  • Konfigurationserstellung für verschiedene Ansätze und
  • Breadcrumbs, um sich die Feature- und Skizzensuche zu erleichtern.

Nach Fertigstellung übermittelte er das 3D-Modell an den Kollegen Florian Hafner (Application Engineer Additive Manufacturing). Dafür war kein lästiges Umspeichern der
Datei notwendig, da Florian direkt mit der SLDPRT-Datei weiterarbeiten konnte.

Mit der Software Materialise Magics wurde die 3D-Konstruktionsdatei für den Druck optimiert. Dafür legte Florian eine Lattice-Struktur über das 3D-Modell, um Volumen zu
reduzieren und somit Material bei annähernd gleicher Festigkeit einzusparen. Nach diesem Schritt war der Gitarrenkorpus bereit für den Druck und die Datei wurde direkt
von der Software an den “HP Jet Fusion 5200“-3D-Drucker gesendet.

Eine Bauraumoptimierung im Vorfeld war nicht notwendig. Jedoch war es von Vorteil, dass der Korpus diagonal und gedreht in den Bauraum gelegt werden konnte und
somit die ganze Bauraumgröße der 3D-Druckmaschine ausgenutzt wurde. Dadurch konnten bei der Konstruktion des 3D-Modells recht große Abmaße für den Gitarrenkorpus
verwendet werden. Nach Ende des Druckjobs und dem Abkühlungsvorgang wurde der Korpus mit der DyeMansion Powershot C automatisiert entpulvert und für die Weiterbearbeitung an Sebastian übergeben. Das Bauteil hatte zu diesem Zeitpunkt ein Gesamtgewicht von 650 Gramm – extrem wenig, wenn man bedenkt, dass eine „normale“ E-Gitarre zwischen 2,7 und 4,5 Kilogramm wiegt, oder?

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Jetzt kommen wir zur spannendsten Etappe – jedenfalls für Sebastian. Er hatte bereits im Vorfeld einen E-Gitarrenbausatz gekauft, in dem alle wichtigen Teile wie zum Beispiel der Steg, der Hals sowie die Mechanik enthalten waren. Lediglich der Korpus musste ausgetauscht werden. Es begannen bange Minuten des Zusammenbauens, bei der er sich immer wieder die Frage stellte: Wird alles passen? Und dem war so, sogar die Schrauben konnten passgenau in die dafür vorhergesehenen Vorbohrungslöcher gedreht werden – ein voller Erfolg! Die E-Gitarre war bereits beim ersten Versuch spielbar, mit funktionierender Elektrik montiert und sah auch noch ansprechend aus! Die Freude im Projekt-Team war riesig.

4. Das Zwischenergebnis

Leider gab es ein fettes Aber und zwar in Form eines Bauteilverzugs. Der Korpus der 3D-gedruckten E-Gitarre war nicht stark genug, um die Saitenspannung aufzunehmen, und hat sich deshalb verzogen. Sie fragen sich, was das bedeutet? Der hintere Teil des Korpus hat sich nach oben gebogen und dadurch eine hohe Saitenlage (dies ist der Abstand
von Saite zu Griffbrett) verursacht. Dies erschwert das Spielen der E-Gitarre, verändert die Intonation und sieht auch optisch nicht schön aus, wie Sie im Bild erkennen können.

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Somit kann man sagen, die E-Gitarre aus dem ersten Entwurf ist montierbar, spielbar, funktionsfähig und grundsätzlich optisch ansprechend, aber verbesserungswürdig.

5. Die Simulation

Deshalb kamen im nächsten Schritt unser Kollege Christian Riedmüller (Business Solutions Consultant Simulation) und die Software SOLIDWORKS-Simulation zum Einsatz. Mithilfe einer Struktursimulation evaluierte er zuerst, wie groß die Verschiebung – besser gesagt: der Verzug – des Korpus tatsächlich ist und welche Kräfte durch die Saiten
auf diesen wirken. Die Finite-Elemente-Analyse (FEA) wird eingesetzt, um anhand virtueller Tests von CAD-Modulen das tatsächliche physikalische Verhalten eines Produkts vorherzusagen. Dafür setzte Christian sogenannte Kraftpunkte (F) an den Einspannpunkten der sechs Saiten. Das Ergebnis: ein Verzug von 7,5 Millimetern und eine Gesamtkraft von insgesamt 42 Kilogramm, die aufgrund der Saitenspannung auf den Korpus wirkt. Mit solch hohen Werten hatte niemand gerechnet, und Sie?

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Mit dieser Ist-Analyse konnte es nun weitergehen, um Lösungsansätze zu finden, im 3D-Modell umzusetzen und direkt in einer erneuten Simulation zu testen. Vorteil von SOLIDWORKS ist dabei, dass die Daten ohne Zwischenschritt, also eins zu eins, ausgetauscht werden können, um die Verbesserungen zu prüfen und durchzuführen. Somit benötigt man weniger Revisionen und spart Zeit.

Die erste Verbesserung war das Modellieren von zusätzlichem Material am Korpus. Die Füllstruktur trägt dazu bei, dass dieser mehr Kraft aufnehmen kann. Infolgedessen ergab
der virtuelle Test nur noch einen Verzug von 5,1 Millimetern. Das Team war dem Ziel also einen Schritt näher.

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Danach folgte die Darstellung des 3D-Modells in Netzstrukturen. Die Finite-Elemente-Methode (FEM) wird häufig bei der Festigkeits- und Verformungsuntersuchung von Körpern eingesetzt. Ein weiterer Benefit der SOLIDWORKS-Software war hier das kurvengesteuerte Netz, mit dem komplexeste Geometrien vernetzt werden können.
Bei dem Korpus der Gitarre war das auf jeden Fall der Fall. Dieser besteht aus vielen Ecken, Radien, Rundungen und Kurven. Mit einem Standardnetz wäre diese Simulation
nicht möglich gewesen. Anhand der Methode konnte festgestellt werden, dass die größte Kraft in der Mitte des Korpus wirkt. Die größte Schwachstelle war also die Aussparung
des vorderen Tonabnehmers.

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Mit diesem Wissen setzte Sebastian unter den Tonabnehmer (Knickpunkt) nochmals Verstärkungsrippen ein. Dieser liegt somit tiefer, damit dem Knickpunkt entgegengewirkt
wird und mehr Material zur Verfügung steht. Dies führt zu einer höheren Steifigkeit. Außerdem entschied er sich für eine geringere Saitenstärke. Durch die dünneren Saiten entsteht laut erneuter Simulation nur eine Kraft von 35 bis 36 Kilogramm. Dies wirkt der Problematik ebenfalls entgegen, wodurch am Ende ein nicht mehr bemerkbarer Verzug existierte und der Korpus erneut in den Druck gehen konnte.

6. Optische Anpassungen

Doch davor sollte zusätzlich auch noch eine Schönheitsanpassung erfolgen, und zwar in Form von Farbe. Doch wie wählt man eine perfekte Kolorierung aus? Ganz einfach:
Mithilfe von SOLIDWORKS PhotoView 360 erstellte Sebastian anhand des 3D-Modells fotorealistische Renderings in unterschiedlichen Farben. Nach einer kleinen Umfrage im Team einigte man sich auf die Farbe Schwarz.

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In der Druckvorbereitung legte Florian dann zusätzlich zur Lattice-Struktur noch eine Oberflächenstruktur in Lederoptik über den Korpus; das sorgt nochmal für einen
Extra-Hingucker. Umgesetzt werden konnte das mit der Software Materialise 3-matic.

7. Das Post-Processing

Nachdem der neue Versuch gedruckt, abgekühlt und gestrahlt war, ging es los mit dem Post-Processing. Zuerst wurde der E-Gitarrenkorpus mit der DyeMansion DM 60
tauchgefärbt. Das bedeutet, die äußersten vier Zehntel der Oberfläche wurden in Schwarz eingefärbt. Zusätzlich entschied sich Florian noch für eine chemische Oberflächenbehandlung. Mit der DyeMansion Powerfuse S wurde die Oberfläche kurzzeitig verflüssigt und erstarrte danach wieder. Diesen Vorgang nennt man in Fachkreisen VaporFuse Surfacing. Dadurch wurde die Oberfläche des Korpus geglättet und versiegelt. Bedeutet im Endergebnis: Die Oberfläche ist nicht mehr rau und abwischbar.

8. Das Endergebnis

  • Größe Korpus (L x B x H): 40,4 mm x 215 mm x 44,5 mm
  • Gewicht Korpus: 780 g I Gesamtgewicht: 2.136 g
  • Gesamtlänge: 980 mm I Farbe: Schwarz
  • Material: HP 3D High Reusability PA 12
  • konstruiert mit: SOLIDWORKS 3D-CAD, SOLIDWORKS-Simulation
  • 3D-Druckoptimierung: Materialise magics, Materialise 3-matic
  • 3D-Druckverfahren: HP Multi Jet Fusion
  • Post-Processing: DyeMansion DM 60, DyeMansion Powerfuse S

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Kleines Gimmick: Zusätzlich zum Korpus wurden auch noch Plektren konstruiert, 3D-gedruckt und in unterschiedlichen Farben eingefärbt. Damit kann ab sofort das ganze Farbspektrum des Post-Processing-Anbieters DyeMansion abgebildet werden. Durch die konstruierte und gedruckte Wabenstruktur war ein Nachbearbeiten mit Sandgrip, damit das Plektron beim Spielen nicht aus der Hand rutscht, nicht nötig.

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